Experten-Interview: Das Sprachcafé – was ist das eigentlich und was bringt es mir?

2023-02-01T11:32:17 / Laura E. Lettner für LcL-Institut Wien

Wir vom LcL-Institut für Sprachen und Kommunikation in Wien haben die Psycholinguistin und Sprachspezialistin Mag.a. Laura E. Lettner zum Thema Sprachen lernen und leben im Sprachcafé befragt:

 

- Rafal: Liebe Laura, das Slogan des LcL-Teams lautet ja: „Wir lieben Sprachen! Lernen Sie mit uns Sprachen leben“. In diesem Zusammenhang fällt mir als Erstes das Sprachcafé ein. Ist das die bessere Gelegenheit, Sprachen leben zu lernen?

- Laura: Nun, natürlich ersetzt das Sprachcafé nicht den Besuch eines Sprachkurses. Wer sich von der Pike auf auf eine Sprachprüfung vorbereiten möchte, sollte einen Sprachkurs besuchen, damit er oder sie entsprechend der offiziellen europäischen Sprachstufen die geforderten Sprachinhalte auf dieses oder jenes Niveau meistert. Das Sprachcafé verhält sich etwa wie ein Verein, das Gleichgesinnte, die ein gemeinsames Interesse teilen, in ihrer Freizeit zusammenführt.  In diesem Fall das Sprachenlernen. 

Und du hast völlig recht mit dem Gedanken, dass der Besuch eines Sprachcafés speziell unterstützt, die mündliche Sprache wirklich zu „er-leben”. In einem klassischen Sprachkurs übt man die gesprochene Sprache lediglich anhand von CD-Samples, in die man kurz hineinhört, um danach in der Gruppe selbst ein paar Redeminuten zu ergattern. Jeder und jede soll drankommen, darauf zu reagieren; so wird es auch zeitlich knapp und bei großen Gruppen unmöglich, auf jede einzelne Präsentation oder Übung einzugehen. Auch wenn die Lehrkraft bemüht ist, Sprechfehler zu korrigieren und Feedback zu geben.

In einem Sprachcafé hingegen kommen Menschen aus verschiedensten kulturellen Personenkreisen zusammen, dabei sowohl Muttersprachler:innen als auch Nicht-Native-Speaker, was seinen besonderen Reiz ausmacht. Denn während Zugewanderte von den Einheimischen in sogenannter „Immersion” lernen, das heißt, voll und ganz im sprachlichen Handeln ihrer vielleicht Wahlheimat eingebettet, nehmen Native Speaker bzw. Fortgeschrittene zugleich ebenso neue Eindrücke und Erkenntnisse von den Einwanderern mit. Sie tauchen in die jeweils geistige und sprachlich ausgedrückte Welt des jeweils Anderen ein. Sie hören nationale und internationale sprachliche Unterschiede und deren Bedeutungen, die ihre Lebenswelt ergänzen, bereichern 

–von Missverständnissen befreit– und sogar noch für ihre nächste Auslandsreise vorbereiten.

Das Sprachcafé fördert so das gegenseitige sprachliche wie auch soziale Verständnis des Zusammenlebens in einer zunehmend vielfältig mehrsprachigen Welt am realen Puls der Zeit. Es ermöglicht offene, kommunikative Begegnung in einem nicht inszenierten, waschechten sprachsozialen Umfeld und damit auch erfolgreiche, unverfälschte sprachliche Integration unter authentischen kameradschaftlichen Bedingungen im Land und über dessen Grenzen hinaus.

 

- Rafal: Man lernt im Sprachcafé die zu lebende Sprache allerdings nicht auf konventionellem Weg, wobei die Planung eines solchen Treffens aus didaktischer Sicht ja doch eine Lehrstruktur in sich birgt. Eine Lehr- bzw. Lernstruktur, die man nicht auf den ersten Blick bemerkt. Welche pädagogischen Konzepte werden dabei angewandt?

- Laura: Ich würde das Lehrkonzept ein bisschen wie das des Montessori-Prinzips beschreiben, nur noch ungezwungener und freier. Besucht man eine Montessori-Schule, geht es viel um Selbstständigkeit bei der Schulplanung: Die Schülerschaft darf nach ihrem persönlichen Rhythmus lernen und sich Fächer und Büffelstunden im Jahr frei einteilen. 

Beim Sprachcafé geht es noch ein Stück weiter: Lernende können sich ohne jeglichen Leistungsdruck beteiligen, einbringen, austauschen, wann es ihnen am besten passt. Die Lehrkraft leitet gedanklich die eingebrachten Ideen der Teilnehmenden, welche sie sprachlich unterstützend und erklärend auf den Punkt bringt. Sie verzichtet jedoch gänzlich auf Zeitlimitierungen, in denen Buchkapitel abgearbeitet werden müssen. Genauso wie sie nicht einstuft, beurteilt oder benotet.

Zudem konzentriert sich das Bemühen in der Gruppe ausschließlich auf die gesprochene, mündliche Sprache, die von der Lehrkraft in lockerer Atmosphäre eingreifend verbessern kann. Diese reicht je nach Themensetzung von Alltagssprache für das Wohnen, Arbeiten oder Reisen bis hin zu spannenden Diskussionen zu sprachkulturellen Themen, wie z. B. Essenstraditionen seit der Monarchie oder alte und neue typische Berufe. Letztere fördern Stil und Sprachgefühl, sich in der Sprache zu spüren, wie sie empfunden wird, und animiert dazu, Sprechbarrieren zu überwinden.

Ohne Erfolgsdruck, Voraussetzungen oder Kontrollen lernt oder vertieft man seinen eigenen Interessen folgend so auch Akzent, Intonation und Melodie im direkten Austausch mit der führenden Lehrkraft. Dabei ist keine:r besser oder schlechter oder darf nicht reden. Sprachcafé bedeutet also ein Entspannungsraum zum Sprachenlernen mit Balance und das Spielen mit Sprache genießen.

 

- Rafal: Du, als Anwenderin gelebter Mehrsprachigkeit mit Deutsch, Französisch und Spanisch, die zwischen verschiedenen Kulturen aufgewachsen ist und anschließend die aufgeführten Sprachen im interkulturellen, linguistisch-didaktischen Kontext studiert bzw. erforscht hat – Erklär uns allen, was das Sprachcafé an sich so besonders macht. Welche Vorteile bringt es den sprachlernenden Teilnehmenden?

- Laura: Ja, das stimmt. Die Liebe zur Sprache habe ich früh entdeckt. Zwischen verschiedenen Kulturen in Europa und Südamerika aufgewachsen, ging eine mehrfache Muttersprachlichkeit (Deutsch - Spanisch - Französisch) samt landeskundlicher Dynamik einher, die ich bis heute, inzwischen praxisgeprüft, speziell zu Zwecken der Sprach(aus)bildung von Zuwanderern nach Österreich wie auch Auswanderern –individuell wie auch im Team– einsetze. Aber nicht nur: Ich bin auch über viele Jahre hindurch im wissenschaftlich-akademischen Kontext in der Erforschung des Sprachsystems des Deutschen (u.a. Morphologie) tätig gewesen, sowohl den Erst- wie auch Zweitspracherwerb betreffend. Später absolvierte ich ebenso Lehrgänge zum Gebrauch von Sprache, mündlich wie auch schriftlich, in Form und Struktur an kund:innenorientierte Medien- und Präsentationskontexte angepasst. 

Zu den Vorteilen eines Sprachcafés zählen: keine Voraussetzungen, keine Einstufung, kein Lehrbuch, dem wir folgen müssen und keine Sprachprüfung, die bevorsteht. Flexibel nach eigenen Kapazitäten, Lust und Laune eine gute Ergänzung zum Sprachkurs oder eine neu erlernte Fremdsprache zu nutzen, wie eine Hausaufgabe oder eine Spielrunde, aber ohne Erwartungen oder Erfolgsdruck.  Die erfahrenen helfen den Anfängerinnen und die Beginnenden knüpfen Kontakte mit den Einheimischen in der neuen Sprache, die ihnen helfen, sich zu orientieren. Die Lehrkraft lenkt die Gespräche und bringt sie auf den Redepunkt, macht sie rund, sozusagen. So wie ein Psychologe die Selbstfindung in der Therapie unterstützen würde, aber keine vorgefertigten Lösungen liefert: Man agiert selbst, man spricht und erfährt sich in der zu lernenden Sprache, wird dabei jedoch von einer Fachkraft strukturiert. So verfällt man auch nicht in die Falle des sogenannten Code-Switchings, dem Phänomen des Mischens zweier Sprachstrukturen im selben Satz, weil einem ein Wort oder Ausdruck fehlt. Was passieren würde, wäre man alleine unter nur Fremdsprachlern zugange. 

Themengerichtet also erweitert man systematisch das Vokabular und einverleibt bestimmte Sprachstrukturen und Phrasen. Man folgt der phonetischen Schallwelle wie Musik, mit Leichtigkeit, aber systematisch. Die Lehrkraft gibt die Form vor, wie man dieses neue Wissen besser einordnet, verknüpft und behält, sich dieses merkt. Sie als Besucher:in erwecken den Thematischen Inhalt sprachlich zum Leben. Wenn Sie etwas nicht wissen, ergänzt die Lehrkraft mit neuen Aspekten aus dem sprachkulturellen Raum, z.B., was es im Altstadtzentrum Anschauliches zu beschreiben gibt. Das ist der Vorteil des Sprachcafés im Vergleich zur zufällig entstandenen Konversation mit der Nachbarschaft auf der Straße. Dort korrigiert einem keiner die Lernfehler und bringt Ihnen durchdacht Kulturgeschichte bei.

 

- Rafal: Die LcL- Sprachcafés finden je Sprache Deutsch, Französisch oder Spanisch in regelmäßigen Zeitabständen immer zu 4 Tischrunden pro Treffen statt. Sind die Konversationen willkürlich oder absichtlich in solchen gruppierten Terminen gestaltet?

- Laura: Da man sich leichter das merkt, was man unmittelbar am meisten braucht, ist unser Sprachcafé so konzipiert, dass es nach einer allgemeine Einstiegsrunde jeweils Dialograum für Themenaspekte schafft, die für die Verständigung und dem Verweilen im ausgesuchten Sprachraum von Bedeutung sind. Es kommen immer wieder andere Aspekte des jeweiligen sprachkulturellen Raums dran, sodass für jede und jeden in regelmäßigen Abständen etwas dabei ist. Es wird mal übergreifender, mal detaillierter debattiert, beispielsweise wird mal der gesamte französischsprachige Raum behandelt, und dann wieder nur über Frankeich und seinen vielen touristischen Attraktionen gesprochen usw.  Wichtig dabei ist, dass ein lebendiges Gespräch entsteht, zu dem jede und jeder etwas sagen kann und mit der Sprachkultur der seiner oder ihrer Heimat oder Reisezieles vergleicht.

Wir möchten herbei niemanden überfordern. Es gilt hier nicht, ein Lehrbuchniveau für einen Abschluss zu erreichen. So wird es möglich, Themenabrisse anzubieten, die nach und nach wie auch freien Kapazitäten folgend vergnüglich das eigene Sprachhorizont – und nicht zuletzt auch das der Lehrkraft – erweitern. 60 bis 90 übliche Kursminuten sind im Reden schnell verflogen. So haben wir uns für Themenwochen entschieden, wie z.B.  auch ein Theaterstück eine Zeit lang aufgeführt wird, bevor ein anderes auf die Bühne kommt. Wie auch an Fernsehthemenabenden aufgebaut, wo es an einem Tag der Woche Sendungen zu verschiedenen Themenaspekten gibt, jedoch zu einem Themengebiet gehörend, z.B. Geschichte, Sport, Musik, usw., kann man am LcL-Sprachcafé wie an einem Themenabend teilnehmen – mal an dieser Runde, mal an einer anderen. Jede Sprachrunde spiegelt mal leichtere, mal komplexere Lebensarten wider, werden aber wiederholend wie sich überschneidend vermittelt, sodass Amateure und spezialisierte Sprachinteressierte zueinander finden und speziell ihre Sprech-Affinität ausüben können.

 

- Rafal: Um es abzurunden. Was möchtest du den Teilnehmenden vor der Anmeldung zum Sprachcafé beim LcL noch mitgeben? 

- Laura: Sprache auffrischen oder lernen, sprachlich in Kontakt treten, sich mit der Sprache näher vertraut machen oder diese vertiefen – ein Besuch im LcL-Sprachcafé trägt auf jeden Fall Früchte. Zudem sind Sprachcafés kostenlos. Dass LcL erhebt lediglich eine geringfügige Verpflegungsgebühr, da es einfacher für alle ist, sich gleich in altmalerischer Wiener Kulisse in die Lernerholung des Sprechens zu begeben als sich um Essen und Trinken zu kümmern. Sprachen lernen all inclusive, und ein paar Stunden Sprachurlaub zum kleinen Preis. In der entzückenden altgetreuen Wiener Spittelberggasse öffnet das LcL in geschichtsträchtiger Atmosphäre für Sprechdurstige seine Lernpforten.

Auch erweist sich ein Besuch des LcL-Sprachlabors als durchaus lohnend, für all jene, die sich auch für einen Sprachkurs, von modernster phonetischer Technik unterstützt, interessieren. Das LcL-Sprachcafé im Biedermeier-Flair steht auch jenen hinterher ganzjährig weiter offen. Eine liebevoll wie sachkundige Lerngestaltung mit Wohlfühlfaktor, und eine einzigartige Gelegenheit, im gelebten Sprachmilieu gemütlich bei einem original Wiener Kaffeetscherl beisammenzusitzen und das neugewonnene Sprachgeschick freisprechend in die bunte Welt hinauszutragen.

 

Zu Personen:

Laura – LcL-Bildungs- und Qualitätsmanagerin | Sprachtrainerin

Rafal – LcL-Geschäftsführer und Mitgründer | Germanist 

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