Dem Komma kein Koma – Beistriche ohne Abstriche
2021-05-27T21:42:57 / Laura E. Lettner für LcL-Institut Wien
Was wäre aber, wenn… wir schreiben würden: „Kommt, wir essen Kinder!“ Was wir dann unter diesem humorvollen Satz verstehen würden, und hoffentlich nicht meinen, sehen wir nun sehr gut selbst. Der zweite Beistrich fehlt hier, sodass dieser zweite Satz ohne Komma vor „Kinder“ eine ganz andere Bedeutung annimmt: Wenn „Kinder“ nämlich nicht durch das gesetzte, zweite Komma als ergänzenden Personenkreisname im Aufforderungssatz fungiert, sondern stattdessen als Akkusativobjekt direkt nach dem Verb verwendet wird.
Der Beistrich oder das Komma erleichtert nicht nur das Lesen und verhindert somit Fehldeutungen im intendierten Sprachinhalt, sondern setzt auch dem oder der Sprechenden eine Pause beim Sprechen. Somit wird auch in mündlich verwendeter Sprache sofort klar, was bzw. wen wir meinen. Wir könnten auch sagen: „Kommt, Kinder, wir essen!“, oder auch: „Kinder, kommt, wir essen!“ Wenn die Familienmitglieder als solche gekennzeichnet sind, können diese im Deutschen auch anderswo im Satz gesetzt werden, ohne dass der Satz an Verständlichkeit einbüßt – solange dabei Kommas gesetzt werden.
In unserer heutzutage stark digitalisierten Welt kommt es in der Chatsprache vor, dass beim schnellen Tippen am Smartphone aus Bequemlichkeitsgründen keine Beistriche gesetzt werden, aber der Satz bei näherem Hinsehen dennoch meist verständlich bleibt. Und doch tut er das nicht unbedingt immer. Nur mit einem Komma am Ende des Satzes hat es sich wirklich ausinterpretiert und seine tatsächliche Bedeutung wird deutlich. Fehlt der Beistrich bzw. die Pause beim Sprechen, verliert der Satz seine ursprünglich gemeinte Bedeutung und so mancher könnte zu einer ganz schrägen Fehleinschätzung kommen. Beistriche retten Leben!
Dieses kleine, aber nicht zu vernachlässigende Detail setzt auch in anderen Sprachen dem Zulässigen durchaus Grenzen: Im Spanischen beispielsweise heißt es: „Vengan, comemos, chicos“, zu Deutsch „Kommt, wir essen, Kinder!“, im Gegensatz zu „Vengan, comemos chicos“, also „Kommt, wir essen Kinder!“ Wir sprechen zu einer zweiten Person Plural und rufen zu Tisch, entweder die Kinder oder eben Andere. Im Spanischen könnten wir jedoch ebenso stilvoller sagen: „Vengan a comer, chicos!“, was im Deutschen soviel bedeutet wie „Kommt zum Essen, Kinder!“ Würden wir hier den Beistrich gut und gerne weglassen, also würden wir „Vengan a comer chicos!“ rufen, hieße es, „Kommt Kinder essen!“ Hier sehen wir jedoch, dass eine wortwörtliche Übertragung aus dem Spanischen ins Deutsche bei Beibehaltung der Syntax, also der Satzstellung, im letzteren Beispielfall nicht so ohne weiteren Bedeutungsverlust mehr möglich ist.
Im Französischen ist bereits der erste Beispielsatz grammatikalisch nicht bildbar: *„Venez, nous mangeons, enfants!“; hier bräuchten wir zumindest einen bestimmten Artikel mehr, „Venez, nous mangeons, les enfants!“, im Deutschen inkorrekt „Komm, wir essen, *die Kinder!“ oder “Venez manger, les enfants“, also „Kommt zum Essen, *die Kinder!“ Doch gilt im Französischen die artikellose Namensform „enfants“ für dt. „Kinder“ im Plural alleinstehend als grammatikalisch unzulässig. Bei „Venez manger les enfants!“, dt. „Kommt die Kinder essen!“ wären bestimmte Kinder gemeint, außer wir würden sagen. „venez manger des enfants“, d.h. dt. „Kommt Kinder essen!“, mit unbestimmtem Artikel „des“ statt bestimmten Artikels „les“, dt. „die“, um unbestimmtes Nomen zu bezeichnen, das im Französischen auch in Pluralform zwingend erforderlich ist.
Im Englischen verhält es sich in etwa so wie im Deutschen: „Come, let’s eat, children!“ versus „Come, let’s eat children!“ Der Umkehrschluss in der wortgenauen Übersetzung ist also nicht zwingend von Sprache zu Sprache eins zu eins möglich, die Relevanz der Beistrichsetzung bleibt jedoch nach wie vor bestehen – und noch einmal: Rettet Leben! *Venez, nous mangeons, *des enfants“, als eine weiters mögliche syntaktische Kombination im Französischen, würden wir die Satzposition exakt aus dem Deutschen übertragen, hingegen, erscheint bei Nutzung des unbestimmten Artikels „des“ vollkommen ungrammatisch, komplett inkorrekt, und fällt somit als Option, unbestimmte Kinder zu Tisch zu rufen, völlig weg.
Da im Deutschen durch die Anwendung der 4 Fälle das direkte Objekt (Kinder) im Akkusativ Plural artikellos wiedergegeben wird, entfällt die notwendige Artikelnutzung vor dem Nomen (frz. „les“/„des“, dt. „die“/0-Artikel) wie im Französischen oder ist die Einbindung anderer Präpositionen wie im Spanischen (span. „a“, dt. „zu“), machen aber dafür Kommas, welche auch hörbar sind, umso signifikativ unterscheidend.
Als wie nützlich wie hilfreich sich Beistrichsetzung tatsächlich erweist, können wir auch an folgende weitere einzelne, zum Teil humoristisch anmutenden Bespielen aus deutscher Sprache gut erkennen:
- „Karl, der Große, wurde König.“ Versus: „Karl der Große wurde König“. (Karl ist nicht groß und ein anderer Karl ist klein, Karl der Große ist im zweiten Satz bereits der Eigenname einer Person.)
- „Ich gehe heute zur Friseurin, Anna.“ Versus: „Ich gehe heute zur Friseurin Anna.“ (Ohne Komma heißt die Friseurin Anna.)
- „Die Leute stehen hier schon Schlange“. Versus: „Die Leute stehen hier schon, Schlange!“ (Die Leute stehen an, im Gegensatz zu falls sich wer vordrängen wollte, auf den man böse ist, im zweiten Satz…)
- „Er will sie nicht.“ Versus: „Er will, sie nicht.“ (Selbsterklärend.)
- „Gehen wir los!“ Versus.: „Gehen wir, los!“ (Wir beginnen zu gehen, wir treffen die Entscheidung, im Gegensatz zu haben wir Mut, wegzugehen oder zu Fuß zu gehen.)
- „Peter ruft, Marie.“ Versus: „Peter ruft Marie.“ (Ähnlich wie der Opa und die Kinder vorhin wird im ersten Satz Marie benachrichtigt, dass Peter ruft oder im zweiten Satz Marie gerufen.)
- „Das Deo ist praktisch klimaneutral und aluminiumfrei“. Versus: „Das Deo ist praktisch, klimaneutral und aluminiumfrei. (Das Deo Ist nahezu giftfrei im ersten Satz, ist beides, praktisch und giftfrei, im zweiten.).
Und welche Lehre ziehen wir nun daraus? In jeder Sprache funktioniert die Kommasetzung anders, doch, vergessen wir nicht: Sie funktioniert! Und auch im Gebrauch in den neuen Medien ist sie längst noch nicht ins Koma gefallen oder gehört zum alten Eisen. Weit gefehlt: Sie ist dem einwandfreien Verstehen nicht nur äußerst wichtig, sondern gar unerlässlich. Sie besteht nicht aus optionaler Design-Stricherl, die lediglich Autoren nach Lust und Laune in ihrer Literatur einsetzen mögen. Und damit Opa und Kinder unversehrt bleiben – liebe Sprachlernende: Der nächste Grammatikkurs beim LcL-Institut führt Sie gut und gerne zur sicheren Zeichensetzung in Vollendung für Ihre täglich Sprache. Das Komma ist nicht von gestern. Machen wir dem Beistrich keinen Abstrich, und den Missverständnissen einfach einen Beistrich durch die Rechnung!